Die Sehnsucht nach Entschleunigung wecken
Am 1. April 2004 übernahm Stefan Goeritz die Leitung der Städtischen Musikschule von Aurel Manciu, der anderthalb Jahre lang kommissarisch Helga George vertreten hatte. Bei seinem ersten Besuch der Räumlichkeiten fand er ein ziemlich dunkles Büro mit 50er Jahre Charme vor, das bis zum Dienstantritt tatkräftig vom damaligen Hausmeister Franz Fackler und von Agnes Weißer, die auch heute noch das Musikschulsekretariat betreut, mit aussortierten Möbeln des Sozialamts verschönert wurde.
Inzwischen hat sich auf dem Weg bis zur heutigen Städtischen Musikschule im Gisela Sick Bildungshaus einiges getan. Mit dem ersten Musikschulfest unter dem Motto „Zusammen wachsen“ nahm die positive Entwicklung der musikalischen Bildungseinrichtung ihren Lauf. „15 Jahre später kann man sagen, dass wird zusammengewachsen und zusammen gewachsen sind“, so Stefan Goeritz.
Einen großen Schritt im Sinne des „zusammen Wachsens“ wird nun mit der gerade eben im Gemeinderat beschlossenen Neukonzeption der Städtischen Musikschule und der neuen Schulgeldordnung getan.
Dem Entwurf der Neukonzeption gingen bereits einige Jahre der Vorbereitung voraus. „Die Zusammenarbeit im Kollegium war von Vertrauen geprägt und sehr konstruktiv, da haben wir wirklich an einem Strang gezogen“, so Goeritz. Nach vielen einzelnen Überlegungen wurde das zusammengefasste Konzept bereits von einigen Lehrern und Lehrerinnen im laufenden Unterricht erprobt. Das Echo der Lernenden und deren Eltern fiel sehr positiv aus.
Dem klassischen Unterrichtskonzept, das noch musikalische Grundausbildung im Alter zwischen sechs und acht Jahren mit abschließender Prüfung vorsah, viel Einzelunterricht mit jeweils 45 Minuten sowie das regelmäßige, ausdauernde häusliche Üben steht heute die Herausforderung starker Veränderungen der Bildungslandschaft, der Medienkultur und der Kulturlandschaft gegenüber.
Insbesondere die sozialen Medien mit der „20-Sekunden-Klick“-Mentalität wirken sich aus. „Der Grundgedanke, fünfzig Stunden zu üben, um fünf Minuten perfekte Musik zu spielen, scheint heute im Wortsinne völlig aus der Zeit gefallen“, bemerkt Stefan Goeritz. Mit dem neuen Schulkonzept werde die Palette der musikalischen Lernmethoden um ein Vielfaches erweitert, darunter sei aber auch der „klassische“ Weg nach wie vor möglich.
„Ich möchte ein wenig die Sehnsucht nach Entschleunigung wecken, sodass der Klang, die Musik wieder wahrgenommen wird. Denn die Musik ebenso wie das Hören im Allgemeinen braucht immer Zeit. Das ist die eigentliche Herausforderung, der wir gerade gegenüberstehen. Und deshalb möchten wir die Musikschule für die Kinder und Jugendlichen als Ort der Entschleunigung anbieten, einen Ort an dem die Kreativität zuhause ist“, sagt Stefan Goeritz. „Und Kreativität ist eine der Schlüsselressourcen unserer Gesellschaft.“
Als aktuelle Aufgaben der Musikschule als Bildungsinstitution sieht Stefan Goeritz, die Selbstverantwortung der Schüler zu stärken. Der eigenen Fähigkeit Raum geben, sich zu interessieren, Feuer zu fangen, Fragen zu stellen und mit langem Atem eigene, komplexe Ziele zu verfolgen, dies versteht das Kollegium der Musikschule unter dem eigentlich altmodisch scheinenden Begriff Disziplin. Sie ist die Gesamtheit der Eigenschaften erfolgreicher Schüler/innen, lat. Discipulus. Und sie ist ebenso wie die Kreativität eine Grundressource in einer Welt, in der sich schätzungsweise alle 78 Tage die Menge des Wissens und der Informationen verdoppelt.
„Lehrer sind dazu da, die Fragen der Schüler zu beantworten und gemeinsam Ziele zu finden“, nennt Stefan Goeritz einen ganz wichtigen Aspekt des Konzepts. Er möchte damit die Schüler zu einer konstruktiven Mitarbeit motivieren, denn „die Schüler sollen nicht nur konsumieren, sondern selbst aktiv mitarbeiten. Dies gilt nicht nur für das Musizieren, sondern auch für die Organisation und Steuerung der Schule. “ Die „Selbststeuerung“ ist neben „Vielfältigkeit“, „Kreativität“ und „Nachhaltigkeit“ eines der Qualitätskriterien für moderne Musikschularbeit für den Musikschulleiter.
Ein weiterer wichtiger Baustein soll das „Voneinander Lernen“ sein, denn „Peer-Learning“ ist sehr effektiv“, so Goeritz. Das kann im Rahmen des „Klangspielplatzes“ oder der musikalischen Spiele sein, aber auch in den Ensembles, an denen jeder Schüler in beliebiger Anzahl teilnehmen kann oder beim „Musizieren jederzeit“, bei dem der Silent-Bereich auch zum gemeinsamen Üben offensteht. „Durch diese Voraussetzungen wird sich auf Dauer eine „Community“ bilden, die die Kreativität und Motivation weiter befeuert.“
„Für all diese beschriebenen Ziele und Prozesse ist die außerschulische Bildung wichtiger denn je, auch wenn oder besser weil es so wenig Zeit dafür gibt“, ist sich Stefan Goeritz sicher. Die Umsetzung dieses Konzeptes kann und wird in Zukunft einen Gegenpol zu der extremen Beschleunigung der Umwelt, in der die Kinder und Jugendliche heute aufwachsen sein: „Es prasselt eine komprimierte Informationsflut auf die Kinder ein.“ Deshalb stehe nicht das „Funktionieren“ bei der neuen Konzeption im Vordergrund: „Wir, aber insbesondere die jungen Menschen, brauchen Räume, um ganz Mensch zu sein. Denn der ganze Mensch und nicht nur der Kopf muss Ziel von Bildung werden. Das ist die Botschaft unseres Hauses“, betont Stefan Goeritz.
(Quelle: Stadt Waldkirch)